Horst Frehe
Jurist
„Über unsere Köpfe, gegen unsere Interessen“, bewertete Horst Frehe, damals als einer der behinderten Protestler, das historische UNO-Jahres 1981. So gesehen ist sein jetziger Job ein Durchbruch. Unter dem offiziellen Motto „Nichts über uns ohne uns!“ ist er noch bis Ende 2004 Leiter der „Koordinierungsstelle des Europäischen Jahres für Menschen mit Behinderungen“. Bei der Eröffnungsveranstaltung hat es keine nicht-behinderten Referenten gegeben, diesmal ist der Geldtopf von einem Betroffenen verwaltet worden. Ende des Jahres wird Frehe wieder auf seinen Richterstuhl am Bremer Sozialgericht zurückkehren, auch dort als Überzeugungstäter: „Gut, dass es behinderte Richterinnen und Richter gibt.“
Horst Frehe wird am 5.2.1951 als Spross einer alteingesessenen Bremer Kaufmannsfamilie geboren. In seinem Kinderzimmer stehen immer drei Dosen Bonbons, dank der Branche des Vaters. Mit 15 geschieht der Absturz beim Herumklettern in einem Harzer Steinbruch. Resultat: Querschnittlähmung, Rollstuhl. Den Realschulabschluss macht er in Abwesenheit im Krankenhaus. In einer Heidelberger Rehaeinrichtung absolviert er eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Ein halbjähriges Praktikum bei Siemens bringt wenig Geld, aber Förderung für ein Auto – heute lebt er seit langem ohne, fährt nur mit Bus und Bahn. In Freiburg studiert er Volkswirtschaft, in Konstanz Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, schließt als Diplomvolkswirt ab. Ein Pädagogikstudium in Bremen endet abrupt, nach Auseinandersetzungen mit Professoren über ihr Verhalten gegenüber behinderten Kindern.
Mit einigen anderen gründet Horst Frehe in seiner Heimatstadt eine „Krüppelgruppe“, die es sich zum Prinzip macht, die eigenen Interessen selbst durchzusetzen, ohne Einmischung von außen. Er ist stark beteiligt an der Politik der beginnenden Behindertenbewegung, wird aber schließlich Zielscheibe der eigenen Leute. Neben persönlichen Dingen geht es vor allem um die Frage der Zusammenarbeit mit Nichtbehinderten. Aus heutiger Sicht kaum verständlich, aber er wird als „Verräter“ gebrandmarkt und landet zwischen allen Stühlen.
Da bleibt er nicht, gründet eine Beratungsstelle mit, beteiligt sich an einem legendären Hungerstreik gegen Kürzungen im Behindertenfahrdienst und danach an der Durchsetzung barrierefreier öffentlicher Verkehrsmittel, wird für drei Jahre Abgeordneter der „Bremischen Bürgerschaft“ (Landtag) für die Grünen und beginnt ein Jurastudium. Politisch arbeitet er an den neuen Gleichstellungsgesetzen mit, leidet gelegentlich unter seiner Partei, die „eine Sozialpolitik zum Gotterbarmen mache“. Als Richter von Haus aus nicht parteiisch, gibt er dennoch seine Überzeugungen nicht am Gerichtseingang ab. Seine Funktion sei es, „einigermaßen gerechte Entscheidungen zu fällen“.